Hintergrund zum Forschungsprojekt

Im Zuge der Digitalisierung befindet sich die Arbeitswelt im Wandel. Die derzeitigen Veränderungen führen nicht nur zu einer Eingliederung neuer Technologien und Hilfsmittel in digitalisierte Produktionsprozesse. Vielmehr müssen NutzerInnen und Informationssysteme mit stetig wachsenden Daten- und Informationsmengen umgehen können. Es stellt sich dabei die Frage, wie eine Organisation langfristig mit diesen Informationsmengen umgehen will. Willentliches, gesteuertes Vergessen wird damit zum funktionalen Gegenstück der Datensammlung und des Lernens. Das am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, Prozesse und Systeme durchgeführte Forschungsprojekt cyber-physical Forgetting in sozio-digitalen Systemen stellt die zweite Phase des Schwerpunktprogramm SPP 1921 dar und schließt an das vergangene Forschungsprojekt Intentional Forgetting in Organisationen an.

Forschungsziel

Ziel des Forschungsprojekts ist es, die Mechanismen des menschlichen Vergessens für einen technisch-organisationalen Kontext nutzbar zu machen. Dazu sind interdisziplinär neue Methoden und Übertragungswege für Organisationen zu entwickeln, um die Balance zwischen stetig wachsenden Mengen an gespeicherten Informationen und einer Informationsreduktion durch Vergessen zu finden. Zu untersuchen ist, wie Cyber-Physical Systeme (CPS) vergessen können, wie Akteure den Umgang mit vergessenden CPS erleben und inwieweit die Zusammenarbeit mit einem vergessenden CPS das beabsichtigte Vergessen in Fertigungsroutinen fördern kann. Das intentionale Vergessen soll zudem in kontinuierlichen Veränderungsprozessen mit dem in episodischen Verändungsprozessen (Forschungsprojekt Manuthetics) verglichen werden und in Geschäftsprozessen modelliert werden.

Forschungsfragen

Die konkreten Forschungsfragen des Projekts ergründen, wie selbstorganisierende „vergessende“ Mensch-Maschine-Systeme aussehen, in welcher Art und Weise Prozesse und Strukturen mit vergessenden Informationssystemen gestaltet werden und welche Chancen und Risiken ein etablierter Vergessensmechanismus innerhalb Informationssysteme für Verwaltung und Industrie bietet. Zudem soll die tatsächliche Wirkung der Vergessensprozesse in sozio-digitalen Systemen von Fabrik und Verwaltung untersucht werden. Zentrale Fragen sind zum Beispiel, wie das gezielte Vergessen von Wissen bei der Synthese neuer Lösungen in Entwicklungsprozessen genutzt werden kann und inwiefern das Vergessen zu besserer Anpassung in volatile Umgebungen führt.

Weiterentwicklung der KMDL®

Die Knowledge Modeling and Description Language (KMDL) wurde von Prof. Dr.-Ing. Norbert Gronau und Mitarbeitern entwickelt, um Wissenskonversionen entlang von Geschäftsprozessen darstellen zu können. Sie modelliert Informations- und Wissensflüsse, die zwischen einem Unternehmen und seinen internen und externen Geschäftspartnern stattfinden. Da bisherige Verfahren der Modellierung wissensintensiver Geschäftsprozesse jedoch keine Möglichkeiten der Abbildung von Vergessen bieten, wird die KMDL® im Rahmen dieses Forschungsprojekts um einen Modellierungsansatz für das Vergessen in Geschäftsprozessen erweitert. Es soll eine tieferliegende Sicht erstellt werden, welche die Wissensnetzwerke einer Person genauer beschreibt. Es wird somit möglich, auf Personenebene unterschiedliche Formen des Vergessens zu identifizieren. Analog zur Personensicht wird auch eine CPS-Sicht entwickelt, in der konkrete Verfahren des Lernens und Vergessens mitberücksichtigen werden. Als semiformale, graphenbasierte Modellierungssprache wird die KMDL® in der Forschung und Praxis eingesetzt und kann durch ihre Beschreibung von Wissensumwandlungen im betrieblichen Umfeld bedeutende Verbesserungspotentiale für das herrschende Wissensmanagement identifizieren.

Projektpartner, Fördermittel und Daten

Das DFG-geförderte Forschungsprojekt „cyber-physical Forgetting in sozio-digitalen Systemen“ ist ein Teilprojekt des DFG Schwerpunktprogramm SPP1921 Intentional Forgetting in Organisationen. Der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik Prozesse und Systeme arbeitet als Projektteam zusammen mit dem Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie der Ruhr Universität Bochum.
Förderung: 2020 - 2023
Ansprechpartner: Christof Thim
Website: http://www.spp1921.de