Herausforderungen des Demographischen Wandels an den Transfer von Erfahrungswissen
Abstract
Die deutsche Gesellschaft altert. Das statistische Bundesamt prognostiziert, dass im Jahr 2060 der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahren bei 34% liegt. Das ist eine Steigerung von 14% im Vergleich zum Jahr 2008. Bereits im Jahr 2020 soll der Anteil bei rund 25% liegen (Destatis 2009). Der Anteil der Bevölkerung im Erwerbsalter wird daher erheblich zurückgehen und entsprechend viele ältere Mitarbeiter aus den Unternehmen ausscheiden. Der deutschen Wirtschaft wird damit ein erhebliches Potenzial an qualifizierten Arbeitskräften fehlen (Schimany 2003). Es sind dabei weniger die manuellen Tätigkeit, die in großem Maße standardisiert durchgeführt werden, vielmehr liegt eine große Gefahr im Abfluss von Erfahrungswissen. Erfahrungswissen ist direkt an Handlungskompetenz gebunden, es geht darum adäquate Lösungen in der Situation aktivieren zu können. Dörner (2002) zerlegt daher Erfahrungswissen in die Komponenten theoretisches und praktisches Wissen, welche beide explizit sind und in implizites Wissen, dort insbesondere das Wissen um funktionale Abhängigkeiten und Wirkungszusammenhänge. Anders als das deklarative Wissen ist hierfür nicht nur die Internalisierung von Informationen notwendig. Die Entwicklung von Erfahrungswissen geschieht über learning-by-doing. Auf Grund der vielfältigen Situationen und der häufigen Wiederholung der Tätigkeiten verfügen ältere Mitarbeiter über einen reichhaltigen Erfahrungsschatz. Es geht dabei nicht nur um die rational-logischen Erfahrungsanteile, sondern auch um Intuition und Erfahrungen aus häufigen Beobachtungen. Diese Erfahrungen sind für Unternehmen häufig unsichtbar. Methoden wie die Wissensbilanz erfassen nur peripher den Effekt der impliziten Wissensanteile. Staudt und Kriegesmann (2000) schätzen, dass rund 80% der Handlungsfähigkeit auf diesen Erfahrungsschatz zurückgehen. Mithin ist es älteren Mitarbeitern also möglich auf Grund ihres Wissens über Fehler-Ursachen-Ketten Störungen zu vermeiden bzw. leichter zu lösen. Hinzu kommt das nomologische Wissen, dass sie relevante Situationen schneller erkennen lässt indem sie Prozess- und Materialmerkmale fokussierter beobachten. Durch die häufige Wiederholung von Vorgängen können ältere Mitarbeiter zudem Informationen aus Rückkopplungsprozessen ziehen und ihr Handlungspotenzial erhöhen (vgl. Bolte/Martin 1992). Geraten diese Aspekte bei der Betrachtung der Arbeitnehmerstruktur in Unternehmen aus dem Blick, könnte dies zu erheblichen Effizienzeinbußen kommen, wenn die Erfahrungsträger gehäuft das Unternehmen verlassen. Methoden des Wissenstransfers müssen daher schon relativ früh ansetzen und entsprechende Barrieren beachtet werden. Hinsichtlich der Transferproblematik von Erfahrungswissen können Barrieren beim zu transferierenden Wissen selbst, bei dem Wissenssender sowie Wissensempfänger definiert werden (Bendt 2000). Die Herausforderung beim Wissen selbst besteht in seinem personengebundenen Charakter, d. h. Wissen ist nur begrenzt kodifizierbar. Eine Externalisierung ist stets mit inhaltlichen Verlusten verbunden. Eine möglichst vollständige Übertragung des stillschweigenden Wissens ist nur durch intensive Interaktion möglich (Meister-Lehrling-Beziehung). Die Barrieren, die sich durch den Wissenssender und -empfänger ergeben, lassen sich allgemein in Teilungsfähigkeit /-bereitschaft bzw. Aufnahmefähigkeit /-bereitschaft gliedern. Technologieorientiertes Wissensmanagement zielt auf die Wissensrepräsentation. D. h. das Wissen wird externalisiert und als Information in entsprechenden Informationssystemen abgelegt. In der unternehmerischen Praxis gewinnen im Kontext des Wissenstransfers technische Anwendungen aus dem Web 2.0-Bereich mehr und mehr an Beliebtheit. Der Umgang mit diesen Anwendungen ist der jungen Generation vertraut, da sie diese nicht nur für berufliche Zwecke nutzt, sondern auch im Privaten verstärkt zum Einsatz kommen. Für ältere Mitarbeiter ist der Umgang mit Web 2.0 weniger vertraut (Peters, Stock 2007). Es ist sogar eine verstärkte Abwehr dieser Generationen gegenüber diesen Technologien zu verzeichnen. Soll der Erfahrungstransfer nun auf der Ebene von technologieorientierten Wissensmanagement-Maßnahmen wie den Web 2.0 Anwendungen erfolgen, sind Unternehmen u. a. Mit folgenden Barrieren konfrontiert: Denn einerseits ist die inhaltlich vollständige Übertragung von personengebundenen Erfahrungen durch den Einsatz von Web 2.0 Technologien nur begrenzt möglich, andererseits ist die Bereitschaft, bedingt durch die fehlende Erfahrung im Umgang mit diesen Medien, vieler älterer Mitarbeiter ihr Wissen über diese Medien bereitzustellen, in der Regel gering. Ansätze diese Barrieren zu überbrücken können sowohl durch technologieorientierte Maßnahmen, die für die älteren Generationen entsprechend zugänglich aufbereitet sind, als auch mit organisationsorientierten Maßnahmen wie Coaching-Konzepte (Meister-Lehrling-Beziehung) ausgestaltet werden.
Kategorie | Buchbeiträge |
Autoren | Thim, Christof; Weber, Nadja |
Bandtitel | Demographischer Wandel - Herausforderungen für die Arbeits- und Betriebsorganisation der Zukunft |
Chairs/Hrsg. | Müller, Egon |
Datum | 09/2012 |
pp. | 361 - 382 |
Verlag | Gito Verlag GmbH |
ISBN | 978-3942183741 |